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Beilage B
Kirchenverfassung

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§ 1

Die evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogtum Baden, die in Christus dem Herrn das Haupt seiner großen Gemeinde verehrt, und in der heiligen Schrift die von aller menschlichen Autorität unabhängige Norm des christlichen Glaubens erkennt, hat als äußere Gemeinschaft die Rechte des Staats-Oberhauptes zu erkennen und zu verehren, in deren Gemäßheit dasselbe nicht nur von allen ihren Verhandlungen, Beschlüssen und Anordnungen Kenntnis zu nehmen, sondern auch denselben auf den verfassungsmäßigen Wegen die zu ihrer Vollziehung erforderliche Genehmigung zu erteilen, oder wenn und insofern sie mit dem Staatswohl nicht vereinbarlich wären, zu versagen hat; dagegen kann sie aber auch erwarten, daß der Staat die zu seinem Wohl ebenso unentbehrliche als gedeihliche Wirksamkeit der Kirche in seinen Kräften Schutz nehmen und bestens wahren und fördern werde.
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§ 2

Während sie also in sich selbst ein organisches Ganzes bildet, das, von seinen Urbestandteilen ausgehend, die vereinzelte Wirksamkeit derselben in immer größere umfassendere Kreise vereinigt, und bei jedem Schritt die verhältnismäßige Staatsaufsicht und Mitwirkung in sich aufnimmt, findet sie in dem evangelischen Regenten des Staates und zugleich ihrem obersten Landesbischof, der alle aus beiden Eigenschaften fließenden Rechte circa sacra ausübt, den letzten staats- und kirchenrechtlichen Vereinigungspunkt.
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§ 3

Sie umfaßt alle einzelnen evangelischen Pfarrgemeinden des Landes, deren jede einerseits eine für sich bestehende kirchliche Gemeinschaft mit allen Befugnissen und Obliegenheiten derselben bildet, anderseits zugleich als Glied der gesamten evangelischen Landeskirche erscheint, und mit ihr gleiche Verfassung, gleiche Rechte und Pflichten hat. Jede dieser Gemeinden findet in ihrem Kirchenältesten-Rate, dessen Glieder sie nach freier Wahl und zufolge einer besonderen Wahlordnung ernennt, das Organ und Mittel zur Verwaltung der sittlichen, religiösen und kirchlichen Angelegenheiten, auf den Grund der allgemeinen Kirchenverfassung und Kirchenordnung.
Diesem ist eine eigene Instruktion, genannt Kirchen-Gemeinde-Ordnung, von der gesamten Kirche, unter höchster Sanktion des Staatsoberhauptes, als ein, dem Materiellen nach, integrierender Teil der Kirchenverfassung gegeben.
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§ 4

Über die Rechte und Pflichten der bei diesen Kirchengemeinden angestellten Pfarrer werden die bisher bestandenen Gesetze, nach einer neuen Revision, das Nähere bestimmen.
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§ 5

Die Pfarrer und Kirchengemeindeältesten treten in nähere Verbindung unter sich durch die Spezial- und Generalsynode, bei welcher sie sich im Namen der Kirche über die allgemeinsten und wichtigsten Angelegenheiten derselben aussprechen und beraten.
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§ 6

Die Spezialsynode, die sich in der Regel am Wohnort des Dekans versammelt, und alle Pfarrgemeinden eines Bezirks oder einer Diözese umfaßt, besteht aus sämtlichen Pfarrern dieses Bezirks, welche teils in dieser Eigenschaft, teils als Glieder oder Vorsteher des Kirchenältesten-Rates erscheinen, welche stets die Hälfte der geistlichen Mitglieder betragen soll, nach Inhalt der Wahlordnung. Sie tritt alle 3 Jahre unter der Geschäftsleitung des Dekans zusammen, und ihr wohnt ein landesherrlicher Kommissarius bei. Die Befugnisse und Pflichten dieser Diözesansynode spricht die Synodal-Ordnung aus.
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§ 7

Außer dieser Diözesansynode wird alle drei Jahre eine Pfarrsynode gehalten, welche die wissenschaftliche und sittliche Fortbildung der Geistlichkeit zum Zweck hat. Dieser auch unter Leitung des Dekans zu haltenden Pfarrsynode wohnt kein großherzoglicher Kommissär bei.
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§ 8

Ebenso findet alle 3 Jahre ein Schulkonvent statt, um alle Gegenstände der für den Staat und die Kirche gleich wichtigen öffentlichen Erziehung zu beraten, und die wissenschaftliche und sittliche Ausbildung der Lehrer zu fördern. Der Dekan leitet das Geschäft, ein komittierter Staatsdiener wohnt solchem bei, und jeder Geistliche kann daran teilnehmen.
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§ 9

Die Generalsynode repräsentiert die gesamte evangelische Landeskirche. Auf derselben erscheinen:
1)
Aus der Landesgeistlichkeit von je zwei Diözesen ein Abgeordneter, durch jedesmalige freie Wahl dazu bestimmt; ohne Rücksicht, ob er in diesem oder einem anderen Teil des Landes wohne, Dekan sei oder nicht, in Gemäßheit der in der Wahlordnung enthaltenen Vorschriften;
2)
aus den weltlichen Kirchenvorständen von je vier Diözesen ein Deputierter, der durch Wahlmänner, die aus dem Kirchenältesten-Rate zu dem Zweck der Wahl eines Deputierten zur Generalsynode bestimmt sind, erwählt wird, und Glied eines Kirchengemeinderats in dem Großherzogtum sein muß;
3)
aus zwei geist- und weltlichen Gliedern der evangelischen Ministerial-Kirchenbehörde;
4)
aus einem von Sr. königlichen Hoheit zu ernennenden Glied der theologischen Fakultät zu Heidelberg;
5)
der ganzen Generalsynode präsidiert ein landesherrlicher Kommissarius.
Die Generalsynode der vereinigten evangelischen Kirche versammelt sich zum erstenmal im Jahr 1823, und in der Folge, so oft das Bedürfnis und die Ordnung der Kirche, nach dem Gutachten der obersten Kirchenbehörde, und insonderheit nach der Spezialsynode-Protokolle es erfordern mag, in der Residenz, als dem Mittelpunkt des Landes. Sie ordnet ihren Geschäftsgang nach eigenem Ermessen, führt ein doppeltes Protokoll über sämtliche Verhandlungen, und legt nach vollendetem Geschäft ihre Akten in der Registratur der obersten Kirchenbehörde nieder. Nach erfolgter landesherrlicher Genehmigung werden die Beschlüsse durch einen Generalsynodal-Rezeß bekannt gemacht.
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§ 10

Kompetenz und Auftrag derselben ist:
  1. Über Erhaltung der Kirchenverfassung, der darauf ruhenden Autonomie und würdigen Stellung der Kirche, im Einklang mit der Unionsakte im allgemeinen und einzelnen zu wachen;
  2. über die allgemeine Befolgung der Kirchenordnung, zur Erhaltung wünschenswerter Gleichheit der Landeskirche in Lehre, Kultus, Disziplin und anderen kirchlichen Anstalten, gedeihliches Aufsehen zu tragen;
  3. auf das Amtsverhalten und Privatleben der Landesgeistlichkeit ein wachsames Auge zu richten, und in geeignetem Wege zu verhüten, daß durch einzelne Glieder derselben weder das innere Wohl, noch die äußere Ehre der Kirche gefährdet und das Amt des Geistlichen verlästert werde;
  4. nach den im verflossenen Zeitraum gemachten Erfahrungen hat sie in reifliche Betrachtung zu ziehen, wie die Kirchenverfassung ins Leben eingegangen, und in welchen Teilen sie etwa noch einer höheren Vollendung bedürftig sein könne; ob und welche Modifikationen in der Kirchenordnung notwendig oder rätlich seien; endlich ob und welche Wünsche in Verwaltung und Verwendung der allgemeinen und Lokalvermögen – die zwar, unter höchster Staatsaufsicht, der Kirche zusteht, deren Art und Weise aber durch besondere organische Gesetze, die Verwaltungs- und Almosenordnung, näher bestimmt wird so wie der besonderen kirchlichen Witwen- und Hilfskassen zur gedeihlichen Berücksichtigung kommen mögen, wobei immer die Rechnungen vorzulegen sind;
  5. hat sie die von dem obersten Kirchenkollegium aus den Protokollen der Bezirkssynode enthobenen, zu ihrer Beratung ausgesetzten, und ihr selbst sämtlichen Protokollen nebst mitzuteilenden Wünsche und Vorschläge, sowie
  6. die Ansichten, Erfahrungen und Wünsche ihrer Glieder, das gemeinsame Wohl der evangelischen Kirche des Landes betreffend, zu vernehmen und deren Vor- und Anträge zu prüfen;
  7. über alles Vorstehende gemeinschaftliche Beschlüsse zu fassen, oder, wo die Sache dazu noch nicht geeignet wäre, gutachtliche Vorschläge zu beraten, und endlich
  8. über eines wie das andere durch die landesherrlichen Kommissarien die Regierung zur Resolution darüber zu veranlassen.
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§ 11

Zur Handhabung der landesherrlichen und kirchenoberhäuptlichen Oberaufsicht, treten die Kirchen- und Schulvisitationen ein, welche erstere alle 2 Jahre, letztere hingegen alle Jahre in jedem Kirchspiele, vordersamst im Pfarrorte selbst von dem Dekan, als dazu beauftragten landesherrlichen oder oberbischöflichen Kommissaris, gehalten werden, wo nicht für einzelne Orte eine Ausnahme auf 2 Jahre von der obersten Kirchenbehörde für gut befunden wird. Der Dekan untersucht den sittlichen, religiösen, kirchlichen, kirchenpolizeilichen und Schulzustand der Gemeinde, so wie den Bestand des kirchlichen Lokalnds, um zu sehen, ob in allem, der bestehenden Kirchenverfassung, Kirchen- und Kirchengemeinde-Ordnung gemäß, zum gemeinsamen Zweck des Kirchen- und Staatswohls gehandelt werde. Er leitet, wo er Abweichungen davon findet, solches in die gesetzlichen Wege, so weit seine amtliche Wirksamkeit reicht; geht in andern Fällen, nach deren Art und Befund, entweder die weltliche Amtshilfe oder die oberste Kirchenbehörde an, nimmt alle Ergebnisse seiner Untersuchung zu Protokoll, befördert dies an die höchste Kirchenbehörde, und macht deren Verfügung dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand der einzelnen Gemeinden bekannt. Ein gleiches Verfahren findet bei der Visitation der Dekanatspfarrei statt, die von einem anderen, nach den bestehenden Verordnungen, durch die evangelische Ministerial-Kirchensektion zu bestimmenden Geistlichen geschieht. Da der Dekan aber bei diesem Geschäft nebst dem Staatsauftrag auch noch, dem Geist der Kirchenverfassung gemäß, als erster Mitbruder seiner Diözesan-Gemeinde erscheint, so werden ihm, um darin das Wohltätige einer alten Kircheneinrichtung, der sogenannten Klassen-Konvente, zu bewahren, in dieser Eigenschaft jedesmal zwei dem Orte der Visitation nahe, von der Synode auf 2 Jahre erwählte Pfarrer als Assistenten beigeordnet, mit deren Zutun der Dekan auf seine Amtsbrüder durch brüderlichen Zuspruch und freundliche Ermahnung wohltätig zu wirken sucht.
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§ 12

Die Wirksamkeit des Dekans, als Delegierten der obersten Kirchenbehörde, durch welche sie die ihr von dem Staatsoberhaupt anvertraute Kirchenaufsicht und Kirchenfürsorge übt, bei der Spezialsynode findet ihre genauere Bestimmung in der Synodalordnung; bei der Generalsynode treten die aus der Mitte der obersten Kirchenbehörde kommittierten Mitglieder in die Wahrnehmung der Pflichten, welche und soweit sie ihrer kommittierenden Stelle aus Auftrag des Staatsoberhaupts obliegen. Sie haben also dahin zu sehen, daß weder der Staat durch die Kirche, noch diese durch jenen in ihren beiderseitigen Verhältnissen benachteiligt oder gefährdet werde, verbinden damit ihre eigene Teilnahme, als Selbstglieder der Kirche, an allen Beratungen der Generalsynode, und durch sie bieten sich Kirche und Staat die Hand zur Förderung und Bewahrung ihres gemeinsamen Zwecks und Wohls.
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§ 13

Mit den Bestimmungen dieser Kirchenverfassung soll nun die bisherige Gesetzgebung in kirchlichen Angelegenheiten, vermittelst einer Revision, in vollkommenen Einklang gebracht werden.
Als mit den Kommissionberichten und Synodalbeschlüssen übereinstimmend beglaubigt.
Karlsruhe, den 15. August 1821
Dr. Philipp Karbach,
Pfarrer, als Sekretär der Generalsynode