Rechtsstand: 01.01.2021

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Artikel 33

( 1 ) Die Errichtung, Auflösung, Trennung und Vereinigung von Kirchenbezirken erfolgt durch kirchliches Gesetz nach Anhörung der betroffenen Kirchengemeinderäte und Ältestenkreise sowie im Benehmen mit den Bezirkskirchenräten. Das Gesetz bedarf der verfassungsändernden Mehrheit, wenn die Veränderung mit Rücksicht auf gesamtkirchliche und übergeordnete Interessen gegen den ausdrücklichen Willen eines betroffenen Kirchenbezirks oder einer betroffenen Kirchengemeinde vorgenommen werden soll. Die Umgliederung einzelner Kirchengemeinden in einen anderen Kirchenbezirk erfolgt in entsprechender Weise durch Rechtsverordnung des Landeskirchenrates.
( 2 ) Ein Gesetz nach Absatz 1 soll die für den Dienst am Menschen in seinen verschiedenen Lebensbereichen erheblichen sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Wandlungen berücksichtigen.
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A. Förmliches Verfahren

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Die Regelung in Absatz 1 entspricht weitgehend der früheren Rechtslage nach § 77 Abs. 1 GO. Veränderungen im territorialen Bestand eines Kirchenbezirks sind danach nur durch ein kirchliches Gesetz möglich.1# Die Verabschiedung des Gesetzes setzt voraus, dass zuvor als unterster Stufe der Beteiligungsrechte eine Anhörung der betroffenen Kirchengemeinderäte und Ältestenkreise stattgefunden hat. Ein stärkeres Beteiligungsrecht in Form des Benehmens steht den Bezirkskirchenräten zu. Nicht erforderlich ist dagegen die Herstellung eines Einvernehmens, durch das die Veränderung verhindert werden könnte.
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Kommt ein Einvernehmen nicht zustande, kann das Gesetz in der Landessynode allerdings nicht mit der normalen Mehrheit der abgegebenen Stimmen nach Art. 108 Abs. 1 Nr. 2 GO verabschiedet werden. Erforderlich ist dann vielmehr die verfassungsändernde Mehrheit nach Art. 59 Abs. 2 GO. Neu ist gegenüber der früheren Fassung, dass dies auch bei dem entgegenstehenden Willen einer betroffenen Kirchengemeinde der Fall ist. Um mögliche Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden, ist außerdem neu, dass der entgegenstehende Wille ausdrücklich erklärt worden sein muss. Diese Erklärung erfolgt im Rahmen des Anhörungsverfahrens bzw. im Verfahren zur Herstellung des Benehmens, kann aber auch noch später gegenüber der Landessynode direkt abgegeben werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte dazu ein förmlicher Beschluss des Kirchengemeinderates bzw. des Bezirkskirchenrates gefasst werden.
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Nicht erforderlich ist, dass die Anhörung der Kirchengemeinderäte und Ältestenkreise bzw. die Herstellung des Benehmens mit den Bezirkskirchenräten durch die Landessynode selbst erfolgt. Die Durchführung dieser Maßnahmen obliegt vielmehr dem Evangelischen Oberkirchenrat im Rahmen seiner Pflicht nach Art. 78 Abs. 2 Nr. 3 GO, die Tagungen der Landessynode vorzubereiten und Gesetzentwürfe auszuarbeiten.
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Soll nur eine einzelne Kirchengemeinde einem anderen Kirchenbezirk zugeordnet werden, genügt dafür anstatt eines förmlichen Gesetzes eine Rechtsverordnung des Landeskirchenrates. Die Verfahrensenweise und die materiellen Voraussetzungen sind aber identisch.
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B. Materielle Voraussetzungen

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Materielle Voraussetzung für ein Gesetz nach Absatz 1, das den Bestand des Kirchenbezirks gegen den Willen der Betroffenen verändert, ist die Rücksichtnahme auf »gesamtkirchliche oder übergeordnete Interessen«. Die Entscheidung darüber, ob diese vorliegen, obliegt der Landessynode. Deren Aufgabe als Gesetzgeber ist es, im Blick auf das Gesamtgefüge der Landeskirche Strukturen zu schaffen, die den Erfordernissen der Zeit gerecht werden. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Zuschnitt der Kirchenbezirke kann vor allem die Durchsetzung der von der Landessynode beschlossenen allgemeinen Zielsetzungen und Prinzipien einer Bezirksstrukturreform2# ein Gesichtspunkt sein, der ein übergeordnetes Interesse begründen kann. Die Landessynode muss zwar einerseits Rücksicht nehmen auf die Argumente und berechtigte Interessenlage der Akteure vor Ort, sie kann sich davon aber nicht ohne Verlust ihres gestalterischen Willens als Gesetzgeber völlig abhängig machen. Deshalb kann es notwendig sein, Regelungen zu treffen, die bestimmte Lösungen auch dann ermöglichen, wenn ein Konsens nicht erreicht werden kann. Die Anwendung der dafür in Artikel 33 geschaffenen rechtlichen Möglichkeiten ist aber immer eine »Ultima Ratio«, die unter den dargestellten erschwerten Bedingungen nur eingreift, wenn die Möglichkeiten zum Dialog und das Bemühen um konsensfähige Lösungen erschöpft sind.
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Absatz 2 ist in der Fassung übernommen worden, die er durch das Vierte Kirchliche Gesetz zur Änderung der Grundordnung vom 29. April 1971 erhalten hat.3# Damit »wird auf die Bedeutung gesellschaftlicher Wandlungen für den kirchlichen Dienst in der Welt besonders hingewiesen«4#. In der ursprünglichen Fassung in der Grundordnung von 1958 waren die Akzente anders gesetzt. § 70 Abs. 3 GO lautete damals:
»Bei Veränderungen und Neuabgrenzung von Kirchenbezirken sind kirchliche, geschichtliche und verkehrsbedingte Gesichtspunkte zu berücksichtigen.«5#
Obwohl diese Kriterien in der Grundordnung nicht mehr ausdrücklich genannt werden, sind sie auch heute noch relevant und gehören im weitesten Sinne zu den »erheblichen sozialen Strukturen«, die zu berücksichtigen sind.6#
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C. Rechtsmittel

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Gegen ein kirchliches Gesetz nach Absatz 1 steht dem Kirchenbezirk das Rechtsmittel der Organklage vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht zur Verfügung. Zwar unterliegen Gesetze der Landessynode im Normalfall keiner gerichtlichen Normenkontrolle, hier handelt es sich aber um den Fall einer Streitigkeit zwischen kirchlichen Körperschaften, über die das kirchliche Verwaltungsgericht nach § 14 Abs. 1e VWGG zu entscheiden berufen ist. Ein Vorverfahren (Beschwerdeverfahren) ist nicht notwendig.

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1 ↑ Anderes gilt für die Pfarrgemeinde nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 GO und für die Kirchengemeinde nach Art. 24 Abs. 1 und Abs. 2 GO.
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2 ↑ Im Zuge der Bezirksstrukturreform ist die Zahl der Kirchenbezirke von 31 auf 24 reduziert worden. Zu den Zielen der Reform siehe die Vorlage des Landeskirchenrates vom 17. September 1998 »Erste Überlegungen zu einer Kirchenbezirks-Strukturreform«; Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 18. bis 22. Oktober 1998, Anlage 5 und den dazu ergangenen gemeinsamen Bericht der ständigen Ausschüsse, ebd., S. 93 ff. und den Bericht zum Stand der Bezirksstrukturreform in der Landeskirche von Oberkirchenrätin Karen Hinrichs: Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 18. bis 22. Oktober 2009, S. 33 ff.; zum exemplarischen Fall der Bezirksstrukturreform in der Ortenau siehe die Vorlage des Landeskirchenrates vom 15. März 2007, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 25. bis 28. April 2007, Anlage 11 und den dazu ergangenen gemeinsamen Bericht der ständigen Ausschüsse, ebd., S. 89; zur Reform der Strukturen in den Großstädten siehe unten Artikel 35.
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3 ↑ GVBl. S. 89; damals § 71.
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4 ↑ Erläuterungen zum Entwurf des 2. Kirchlichen Gesetzes zur Änderung der Grundordnung, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom Oktober 1969, Anlage 1, S. 28.
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5 ↑ GVBl. 1958, S. 17.
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6 ↑ Zur Frage der Orientierung an den Landkreisgrenzen, die vor allem aus der Sicht der Diakonischen Werke von Vorteil ist, siehe: K. Hinrichs ebd., S. 35.