Rechtsstand: 01.01.2021

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Artikel 17

( 1 ) Die wahlberechtigten Gemeindeglieder einer Pfarrgemeinde wählen aus ihrer Mitte Frauen und Männer zu Kirchenältesten, die bereit sind, sich in ihrem Amt an das Zeugnis der Heiligen Schrift als Quelle und Richtschnur ihres Wirkens zu halten.
( 2 ) Die Wahl ist ein Dienst an der Gemeinde im Gehorsam gegen den alleinigen Herrn der Kirche, Jesus Christus.
( 3 ) Die Einzelheiten der Wahlberechtigung und des Wahlverfahrens des Ältestenkreises werden durch kirchliches Gesetz geregelt.
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Literatur
Wendt, Günther (1962): Das Ältestenamt im Aufbau der Evangelischen Kirchenverfassung. In: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf. Frankfurt a. M., S. 87 ff. (wieder abgedruckt in: Jörg Winter [1994]: Kirchenrecht in geistlicher Verantwortung. Gesammelte Aufsätze von Oberkirchenrat i.R. Prof. Dr. Günther Wendt, S. 1 ff.).
Winter, Jörg (1986): Die Barmer Theologische Erklärung. Ein Beitrag über ihre Bedeutung für Verfassung, Recht, Ordnung und Verwaltung der Evangelischen Landeskirche in Baden nach 1945 (Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 47). Heidelberg.
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A. Prinzip der Gemeindewahl

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Absatz 1 legt im Sinne der partizipatorischen Grundstruktur der Kirche1# den durch die Kirchenverfassung von 1861 eingeführten Grundsatz der Gemeindewahl fest, d. h., der Ältestenkreis wird als Leitungsorgan der Pfarrgemeinde von den wahlberechtigten Gemeindegliedern der Gemeinde aus ihrer Mitte gewählt.2# Die Möglichkeit einer späteren ergänzenden Zuwahl3# oder Nachwahl4# bei Veränderungen im Laufe der Wahlperiode durch den Ältestenkreis selbst wird dadurch nicht ausgeschlossen.
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B. Voraussetzungen für das Ältestenamt

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Im Absatz 1 wird außerdem in Anlehnung an die Formulierung in der Agende zur Einführung der Kirchenältesten die Voraussetzung benannt, die die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl in den Ältestenkreis erfüllen müssen, nämlich die Bereitschaft, »sich in ihrem Amt an das Zeugnis der Heiligen Schrift als Quelle und Richtschur ihres Wirkens zu halten«. Diese Bereitschaft wird vor der Einführung förmlich durch die Unterzeichnung der in Art. 19 Abs. 2 GO festgelegten Verpflichtungserklärung dokumentiert. Damit wird klargestellt, dass die Kirchenältesten nicht nur die in § 4 LWG festgelegten formalen Voraussetzungen – wie z. B. die Vollendung des 18. Lebensjahres5# – erfüllen müssen, sondern die Wahl in das Amt eines Kirchenältesten eine innere Bindung an das Zeugnis der Heiligen Schrift voraussetzt.
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Im Unterschied zum bisherigen § 16 Abs. 1 GO wird für die Wahl zum Kirchenältesten nicht mehr verlangt, dass das Gemeindeglied kirchlich getraut ist, seine Kinder hat taufen lassen und diese im christlichen Bekenntnis erzieht. Diese früheren Bestimmungen haben sich aus mehreren Gründen als problematisch erwiesen. Von ihrem Wortlaut haben sie den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass nur solche Personen zu Kirchenältesten gewählt werden können, die verheiratet sind und Kinder haben. Diese Interpretation war deshalb nicht von vornherein abwegig, weil man der Auffassung sein konnte, dass nur Personen die Gemeinde leiten sollen, die bereits im privaten Bereich Verantwortung für andere Personen übernommen haben. Schon um solche möglichen Missverständnisse zu vermeiden, hat sich eine Änderung als notwendig erwiesen.
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Ein anderes Problem hat sich aus der Tatsache ergeben, dass es sich nach den Formulierungen der früheren Fassung in § 16 GO um Voraussetzungen gehandelt hat, deren Vorliegen vom Gemeindewahlausschuss vor der Zulassung zur Wahl im Sinne einer Kasuistik in jedem Einzelfalle überprüft werden musste. Dies mag hinsichtlich der Voraussetzung einer kirchlichen Trauung noch objektiv möglich gewesen sein6#, hat sich aber bei der Frage nach der christlichen Erziehung der Kinder bereits als nahezu unmöglich erwiesen. Auch das Erfordernis der Taufe der Kinder berücksichtigte nicht, dass es objektive Gründe geben kann, die dazu führen, dass ein Kind nicht getauft werden kann, wie z. B. der entgegenstehende Wille eines Erziehungsberechtigten,7# der nach den kirchlichen8# und staatlichen9# Bestimmungen rechtlich beachtet werden muss. Deshalb erscheint es nicht sinnvoll, den Ausweis einer christlichen Lebensführung an bestimmten kasuistisch genannten Kriterien festzumachen, deren Einhaltung im Einzelfall sehr unterschiedliche Gründe entgegenstehen können, die mit der Eignung zum Ältestenamt wenig zu tun haben.
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Zum Teil ist dieser Verzicht als eine »Rabattierung« bei den Voraussetzungen für die Wahl zum Kirchenältesten scharf kritisiert worden, mit der von den unverzichtbaren biblischen Grundlagen abgewichen werde. Der Eindruck, eine persönliche Bindung an das Zeugnis der Heiligen Schrift sei für das Ältestenamt nicht mehr erforderlich, ist jedoch unzutreffend. Diese Bindung ergibt sich weiterhin aus der im Absatz 1 genannten Voraussetzung und der in Artikel 19 GO festgelegten Verpflichtungserklärung.
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C. Die Wahl als Dienst an der Gemeinde

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Die Bestimmung des Absatzes 2, die bisher in § 13 Abs. 2 GO zu finden war, geht in ihrem Ursprung auf die Wahlordnung von 1946 zurück, die auf dem Hintergrund der Erfahrungen im »Dritten Reich« »das kirchliche Wahlrecht aller Kirchensteuerzahler durch den Wahldienst der ans Bekenntnis gebundenen und in der Ordnung der Kirche stehenden Gemeindeglieder«10# ersetzt hat. In Anlehnung an die demokratisch-parlamentarische Staatsverfassung lag der Kirchenverfassung von 1919 »die Vorstellung einer dem Kirchenvolk zustehenden Kirchengewalt der zu bildenden Organe als Vertretung des Kirchenvolks und der Gewählten als Beauftragte der das Kirchenvolk repräsentierenden Gruppen und Parteien sowie schließlich der Ausübung des Wahlrechts nach dem Verhältnis- und Listenwahlsystem als Ausfluß subjektiver, in der Kirchenmitgliedschaft gegründeter Rechtsmacht zu Grunde«11#. Dieses Verständnis erwies sich zu Beginn des »Dritten Reiches« als verhängnisvoll, weil es das Eindringen von Vertretern der nationalsozialitischen Ideologie ohne Bindung an den Auftrag der Kirche in die kirchlichen Organe begünstigte. Mit der Wahlordnung wurde daher 1946 das Verhältnis- und Listenwahlrecht abgeschafft und durch eine Persönlichkeitswahl ersetzt. Wahlberechtigt waren nur diejenigen, die durch bestimmte Qualifikationen als aktives Gemeindeglied ausgewiesen waren und bei der persönlichen Anmeldung zur Wahl schriftlich versicherten, die Wahl im Bewusstsein der Verpflichtung auszuüben, dass sie »ein Dienst an der Gemeinde im Gehorsam gegen den alleinigen Herrn der Kirche, Jesus Christus, ist«12#.
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Diese strengen Anforderungen sind schon 1972 im Interesse einer größeren missionarischen Offenheit der Gemeinde in der Welt zurückgenommen worden und weil sie schon damals als eine gesetzlich zu eng fixierte Kirchenzucht empfunden worden sind.13# Das heutige Wahlrecht kennt daher eine persönliche Anmeldung zur Wählerliste und eine Verpflichtungserklärung der genannten Art nicht mehr. Die Bestimmung des Absatzes 2 ist dennoch nicht nur eine historische Reminiszenz an den Neuaufbau der Kirchenverfassung nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach § 3a Abs. 3 Nr. 1 LWG verliert ein Gemeindeglied die Wahlberechtigung, wenn es offenkundig nicht bereit ist, die Wahl im Sinne von Absatz 2 auszuüben. Die Wahlberechtigung geht außerdem verloren, wenn ein Gemeindeglied die kirchliche Ordnung nachhaltig missachtet, wenn es sich kirchenfeindlich äußert oder betätigt oder diskriminierende, die Menschenwürde verletzende Äußerungen tätigt.14# Damit steht ein rechtliches Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Einflussnahme von Personen, die sich an den Wahlen aus kirchenfeindlichen Motiven beteiligen wollen, im Extremfall verhindert werden kann. Das könnte z. B. notwendig sein, wenn eine kirchenfeindliche Gruppierung unter Ausnutzung der formalen Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitglieder versuchen sollte, eine Gemeinde zu unterwandern. Unabhängig davon dient Absatz 2 dazu, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass der Ältestenkreis als Leitungsorgan auf Gemeindeglieder angewiesen ist, die den Vollzug des kirchlichen Wahlrechts nicht nur als Ausdruck einer formalen Kirchenmitgliedschaft verstehen, sondern darin ihre Bereitschaft zur Mitverantwortung für das Gemeindeleben auch in geistlicher Hinsicht zum Ausdruck bringen.
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D. Gesetzliche Ermächtigung

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Absatz 3 enthält die Ermächtigungsgrundlage für die Bestimmungen im Leitungs- und Wahlgesetz, in das zur Entlastung der Grundordnung eine Reihe von Regelungen übernommen worden sind, die früher in der Grundordnung enthalten waren.15# Die in Absatz 3 früher enthalten gewesene Ermächtigungsgrundlage, außer der Wahlberechtigung und des Wahlverfahrens auch die Zusammensetzung des Ältestenkreises durch ein einfaches Gesetz zu regeln, ist allerdings durch das kirchliche Gesetz zur Änderung der Grundordnung vom 20. April 2013 ohne nähere Begründung gestrichen worden.

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1 ↑ Siehe dazu: Art. 2 Rdnr. 3.
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2 ↑ Siehe bisher: § 21 Abs. 1 GO.
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3 ↑ Siehe: § 8 LWG.
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4 ↑ Siehe: §§ 15 und 16 LWG.
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5 ↑ Siehe aber die Ausnahmebestimmung in § 4 a LWG.
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6 ↑ Von dieser Voraussetzung konnte der Bezirkswahlausschuss nach § 16 Abs. 3 GO auf begründeten Antrag des Gemeindewahlausschusses im Übrigen befreien, ein Verfahren, das für die Betroffenen als unzumutbar angesehen werden muss, weil es dazu führte, dass unter Umständen sehr persönliche Umstände vor Gremien dargelegt werden mussten, die für die Betroffenen in der Regel völlig anonym sind.
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7 ↑ Siehe dazu das vom Synodalen Tröger im Gemeinsamen Bericht der ständigen Ausschüsse zum Entwurf des 16. Änderungsgesetzes zur Grundordnung vorgetragene illustrative Beispiel: Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 16. bis 20. Oktober 2006, S. 87.
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8 ↑ Siehe: Art. 7 Abs. 1 LO Taufe.
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9 ↑ Vergl.: § 1 Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 i. d. F. vom 17. Dezember 2008, BGBl. I S. 2586, 2728 (RS Baden Nr. 370.240); § 1627 BGB. Siehe dazu Art. 8 Rdnr. 8 ff.
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10 ↑ E. Wolf: Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 24. bis 27. September 1946, S. 14.
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11 ↑ G. Wendt (1962): S. 87.
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12 ↑ § 11 Wahlordnung 1946, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 24. bis 27. September 1946, Anlage 1a.
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13 ↑ Vergl. dazu: Art. 8 Rdnr. 16; J. Winter (1986): S. 20 ff.
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14 ↑ § 3a Abs. Abs. 3 Nr. 2-4 LWG.
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15 ↑ Siehe § 21 Abs. 2 GO a.F.