Rechtsstand: 01.01.2021

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Zweiter Titel. Die Pfarrgemeinde

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I. Auftrag und Rechtsstellung der Pfarrgemeinde

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Artikel 13

Die Pfarrgemeinde ist die örtliche kirchenrechtliche Einheit, in deren Gebiet der Auftrag der Kirche wahrgenommen wird. Dies geschieht vor allem durch die regelmäßige Feier von Gottesdiensten und die Spendung der Sakramente, durch Unterricht, Seelsorge und Diakonie. Die Pfarrgemeinde pflegt die ökumenischen Beziehungen zu den Gemeinden anderer Konfessionen am Ort.
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Literatur
Erzdiözese Freiburg / Evangelische Landeskirche in Baden (1999): Gottesdienst und Amtshandlungen als Orte der Begegnung. Gemeinsame Erklärung. Freiburg, Karlsruhe.
Freytag, Justus (1959): Die Kirchengemeinde in soziologischer Sicht. Hamburg.
Hermelink, Jan / Wegner, Gerhard (2008): Paradoxien kirchlicher Organisation. Niklas Luhmanns frühe Kirchensoziologie und die aktuelle Reform der evangelischen Kirche (Religion in der Gesellschaft Bd. 24). Würzburg.
Nethöfel, Wolfgang / Grunwald, Klaus-Dieter (2005): Kirchenreform jetzt! Projekte, Analysen, Perspektiven. Schenefeld.
Nethöfel, Wolfgang / Grunwald, Klaus-Dieter (2007): Kirchenreform strategisch! Glashütten.
Nüchtern, Michael (2008): Kirche evangelisch gestalten (Heidelberger Studien zur praktischen Theologie). Berlin.
Pohl-Patalong, Uta (2006): Von der Ortskirche zu den kirchlichen Orten. Ein Zukunftsmodell. 2. Aufl. Göttingen.
Rosenstock, Susanne (2000): Die Selbstverwaltung evangelischer Kirchengemeinden (Europäische Hochschulschriften Reihe II, Rechtswissenschaft, Bd. 2944). Frankfurt a.M. u.a.
Schramm, Steffen (2015): Kirche als Organisation gestalten. Kybernetische Analysen und Konzepte zu Struktur und Leitung evangelischer Landeskirchen, 2 Teilbände (Leiten. Lenken. Gestalten. Theologie und Ökumene, Bd. 35). Berlin.
Vögele, Wolfgang (2014): Bekenntnisschriften der Evangelischen Landeskirche in Baden, Bd. I, Textsammlung. 10. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Karlsruhe.
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A. Die Pfarrgemeinde als Grundmuster

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Durch Artikel 13 wird an der Pfarrgemeinde (Parochie), die durch ihre territoriale Umschreibung definiert ist1#, als Grundmuster der kirchlichen Organisation beibehalten. Die Frage, ob das heute noch zeitgemäß ist, gehört zu den zentralen Themen der seit Langem geführten Diskussion um eine Kirchenreform2#, wie bereits folgendes Zitat aus einem 1959 erschienenen Buch zeigt:
»Die gesellschaftlichen Wandlungen und die Aufgaben einer christlichen Lebensführung in der veränderten Sozialstruktur machen die Institution der Kirchengemeinde3# zum Problem. Ist die Institution der Kirchengemeinde in der gegenwärtigen Struktur der Gesellschaft eine wirksame kirchliche Organisationsform und gegenüber der ›mündigen Welt‹ nach ihrem Auftrag aktionsfähig? Unter den Stimmen, die sich zu dieser Problematik zu Wort gemeldet haben, sind ihrer Tendenz nach zwei typische Reaktionen festzustellen: Entweder fordern sie, daß die Kirchengemeinde sich in ihrer säkularen Umgebung zur Bekenntnisgemeinde umbilden müsse. Zum Bekenntnis gehören auch die überkommenen Formen kirchengemeindlichen Lebens. Ihre Erfüllung in der Teilnahme an Gottesdienst, Andachten und kirchlicher Unterweisung wird zum Bekenntnisakt, an dem sich eine kirchliche Auffassung erweist. (…) Oder man ordnet die lokale Kirchengemeinde als soziale Institution einer vergangenen Gesellschaftsepoche zu. Heute bestehen aus der christlichen Lebensführung andere Bedürfnisse für die Organisation der Kirche. Eine offene und bewegliche kirchliche Arbeit in der ›Paragemeinde‹, Betriebskernen, Tagungen und kleinen Gruppen, deren Teilnehmer vor den gleichen Aufgaben und Problemen im Alltag stehen, ist notwendig.«4#
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Damit ist die Diskussionslage, wie sie bis heute besteht, bereits ziemlich genau beschrieben. Auch der Evangelische Oberkirchenrat hat sich bereits zu Beginn der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts mit dem Problem auseinandergesetzt: In seinem der Synode zur Herbsttagung 1961 vorgelegten Hauptbericht für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 1. August 1961 heißt es dazu:
»Es gibt Zeichen, die auf die geistliche Bedrohtheit der evangelischen Kirche in Westdeutschland hinweisen. Dazu gehört die Art der Diskussion über die Lage der Kirche. Es wird dabei festgestellt, daß die Kirche die Wandlungen, die heute in der Welt vor sich gehen, nicht genügend beachte und ihnen mit den gewohnten Arbeitsmethoden nicht gerecht werde. Wenn aber schon von diesen Wandlungen in reichlich abstrakter Weise gesprochen und z.B. unsere Epoche als Massenzeitalter gekennzeichnet wird, ohne daß man diesen Begriff näher bestimmt, so sind die Antworten auf die Frage, was denn die Kirche nun tun und anders machen soll, noch viel unbestimmter. Zu den fragwürdigen Thesen dieser Diskussion über die Kirche gehört die These von der sog. ›Paragemeinde‹, d.h., es wird behauptet, man fände Menschen heute nicht mehr dort, wo man sie früher gefunden hat, nämlich an ihrem Wohnort. Das Haus sei für viele arbeitende Menschen nur noch ›Schlafstelle‹. Ihr eigentlicher Ort, wo sie leben, sei der Betrieb, die Kirche müsse die Vorstellung von der Ortsgemeinde als eine fiktive Vorstellung aufgeben und den Schwerpunkt ihrer Arbeit um den Betrieb gruppieren. Abgesehen davon, daß diese These einer ernsthaften Prüfung der Lebensverhältnisse der Pendler nicht standhält, zumal im Zeichen der Fünf-Tage-Woche, hat noch niemand konkret aufgezeigt, wie die ›Paragemeinde‹ und ›Paragemeindearbeit‹ aussehen soll. Solange man diese Diskussion über die Kirche als Zeichen eines allgemeinen Unbehagens über den Zustand der Kirche nimmt, hat sie eine Berechtigung; aber wenn die Diskussion als solche schon für die Tat angesehen wird, dann beweist sie nur eine schuldhafte Ratlosigkeit.«5#
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Diese Ratlosigkeit ist auch ein halbes Jahrhundert später nicht ganz gewichen, und fertige Antworten fehlen bis heute. Die Ursache dafür wird man nicht zuletzt darin suchen dürfen, dass die Stellungnahmen und angebotenen Konzepte – wie schon Freytag 1959 zu Recht festgestellt hat –, »gegenüber der aufgezeigten Problematik kurzschlüssig«6# sind. Eine mögliche Lösung darf vor allem nicht in den Fehler verfallen, die verschiedenen Formen der Gemeinde und der Gemeindearbeit als sich gegeneinander ausschließende Alternativen zu betrachten. Es kommt vielmehr darauf an, diese in ihrer jeweiligen Stärke und ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit wirksam werden zu lassen. Uta Pohl-Patalong hat dazu Folgendes festgestellt:
»Festzuhalten ist daher, dass kirchliche Strukturen unterschiedliche Formen von Gemeinschaftsbildungen ermöglichen sollen – sowohl vorgegebene als auch subjektiv gewählte Formen. Beide Gestalten sind gleichermaßen theologisch legitim und daher nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu bejahen und zu fördern.«7#
Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die territorial umschriebene Ortsgemeinde nicht mehr für sich den Anspruch erheben kann, die ausschließlich mögliche Form kirchlicher Sozialisation zu sein, sondern ergänzender Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens bedarf.
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B. Notwendigkeit ergänzender Modelle

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In dem von Uta Pohl-Patalong vorgestellten Modell eines »Dritten Weges« will sie die Stärken der beiden bisherigen Organisationsprinzipien, die parochiale und die nichtparochiale Struktur, im Sinne eines mehrschichtigen Gemeindebegriffes so miteinander verbinden, dass das territoriale Prinzip nicht das allein entscheidende ist. Als »Grundprinzip« schlägt sie vor, dass es an jedem kirchlichen »Ort« jedenfalls potenziell neben den inhaltlichen Arbeitsbereichen ein davon organisatorisch getrenntes vereinsähnliches Leben geben soll. Damit meint sie »einen in erster Linie auf die eigene Gruppe bezogenen Zusammenschluss von Menschen, der von Selbstorganisation und von Gemeinschaft und Geselligkeit geprägt ist«8#. Dieser vereinsähnliche Bereich soll grundsätzlich von dem von den Hauptamtlichen zu verantwortenden inhaltlichen Bereich organisatorisch getrennt und von Ehrenamtlichen gestaltet und geleitet werden.
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Die entscheidende Frage ist, ob und wie diese Gedankengänge, gegen die als solche grundsätzlich nichts einzuwenden ist, im Rahmen einer Kirchenverfassung berücksichtigt werden können. Uta Pohl-Patalong selbst bezeichnet ihr Modell als eine »Vision«, das »keine normativen Ansprüche« erhebt. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, liegt nun aber in der Tatsache begründet, dass eine Kirchenverfassung, wenn sie ihre Funktion erfüllen will, nun einmal normative Festlegungen treffen muss. So müssen in ihr – z.B. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Leitungsverantwortung in der Kirche – Verfahren der kirchenrechtlichen Legitimation geregelt werden. Eine Kirchenverfassung, die dafür die Gemeinde und ihr Leitungsorgan als Basis und Ausgangspunkt nimmt, wie es protestantischem Verständnis entspricht, kann sich dabei nicht auf selbstorganisierte Sozialisationsformen stützen, deren Charakter gerade darin besteht, dass sie sich am jeweiligen Ort frei bilden können und sich deshalb einer auf Dauer angelegten kirchenrechtlichen Fixierung weitgehend entziehen. Eine Kirchenverfassung kann daher für sie Freiräume schaffen und Bedingungen festlegen, unter denen sie sich an kirchenrechtlichen Entscheidungsprozessen beteiligen können. Als Grundlage des kirchlichen Verfassungsaufbaues sind sie aber als solche nicht geeignet.
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C. Ortsgemeinde als Basis

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Aus diesem Grunde hält die Grundordnung an der überkommenen Form der territorial verfassten Ortsgemeinde als Basis des landeskirchlichen Verfassungsaufbaues fest. Staatskirchenrechtlich kommt darin das mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV verbundene Recht der Kirche zum Ausdruck, sich auch mit Wirkung für den staatlichen Rechtskreis hinsichtlich des Erwerbs und des Verlustes der Kirchenmitgliedschaft gebietsbezogen zu organisieren. Darauf baut u.a. die Regelung in § 8 des Mitgliedschaftsgesetzes der EKD auf, nach der sich bei einem Wohnsitzwechsel in den Bereich einer anderen Gliedkirche die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fortsetzt. Das wäre ohne die Beibehaltung des territorialen Anknüpfungspunktes als Regeldefinition für die Kirchenmitgliedschaft nicht möglich. Schon aus diesen gesamtkirchlichen Gründen ist es deshalb notwendig, am Parochialprinzip im Grundsatz festzuhalten.
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D. Stärken der Ortsgemeinde

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Unabhängig davon sprechen dafür auch die folgenden inhaltlichen Gründe: Die Stärke dieser Organisationsform besteht darin, dass sie hinsichtlich der Gemeindezugehörigkeit an ein objektives »äußeres« Bestimmungsmerkmal anknüpft und damit Differenzierungen nach Gesichtspunkten verhindert, die mit dem Charakter einer christlichen Gemeinde unvereinbar sind. Der Auftrag der Kirche besteht darin, an Christi statt und also im Dienste seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an »alles Volk«, so sagt es die sechste These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Unterschiede in den politischen Auffassungen, der sozialen Herkunft, der gesellschaftlichen Stellung, des Geschlechts, der Rasse oder auch in einem bestimmten Stil der »Frömmigkeit« dürfen deshalb keine Gesichtspunkte sein, an denen sich die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde entscheiden kann. Jede Form der Gemeinde muss in dieser Hinsicht die notwendige Offenheit bewahren, wenn sie ihre theologische Legitimität nicht verlieren will. Die überkommene Ortsgemeinde entspricht am besten diesen Erfordernissen einer »Volkskirche«. Hinzu kommt: »Diese Gliederung der Ortsgemeinde ermöglicht eine breite Mitverantwortung der Gemeindeglieder für die Leitung der Gemeinde (Ältestenkreis, Gemeindeversammlung) in überschaubaren Bereichen.«9#
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Dem Anliegen, die Vielschichtigkeit des Gemeindebegriffes auch im kirchlichen Verfassungsrecht stärker zu berücksichtigen, als das bisher der Fall war, wird durch die neuen Bestimmungen über die besonderen Gemeindeformen in den Artikeln 30 und 31 Rechnung getragen.
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E. Definition der Pfarrgemeinde

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Der Begriff der Pfarrgemeinde ist in Satz 1 anders definiert, als dies bisher in § 11 Abs. 1 GO der Fall war.10# Aufgegeben worden sind die dort verwendeten Begriffe des »Pfarramtes« und der »Predigstelle« als Zuordnungskriterien für die Bildung einer Pfarrgemeinde. Vor allem der Begriff des »Pfarramtes« ist mehrdeutig. Anders als früher werden die Grundfunktionen kirchlichen Handelns beschrieben, die in der Pfarrgemeinde zu erfüllen sind. Mit dieser Aufgabenbeschreibung ist die Konsequenz verbunden, dass in der Pfarrgemeinde zumindest eine Predigstelle existieren muss, auch wenn diese nicht mehr zum unmittelbaren rechtlichen Anknüpfungspunkt für die Existenz der Pfarrgemeinde gemacht wird. Nicht notwendig ist dagegen eine personell besetzte Pfarrstelle. Die Pfarrgemeinde kann auch von der Pfarrstelle einer anderen Pfarrgemeinde mitversorgt werden, z.B. bei vorübergehenden Vakanzen. Nach Art. 15a Abs. 1 trifft die Entscheidung darüber der Bezirkskirchenrat. Soll allerdings eine Pfarrstelle auf Dauer nicht besetzt werden, wird der Bezirkskirchenrat die Pfarrgemeinde konsequenterweise nach Art. 15 Abs. 1 mit derjenigen Gemeinde fusionieren, von deren Pfarrstelle die Gemeindeglieder versorgt werden sollen.
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F. Ökumenische Beziehungen

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I. Allgemeine Verpflichtung

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Der letzte Satz enthält die ausdrückliche Verpflichtung der Pfarrgemeinde zur Pflege der ökumenischen Beziehungen vor Ort.11# Diese Bestimmung ist neu und war in dieser Form in der Grundordnung bisher nicht enthalten.12# Neben den evangelischen Freikirchen betrifft die Verpflichtung vor allem die Gemeinschaft mit den Gemeinden der römisch-katholischen Kirche. Dazu haben die Landeskirche und die Erzdiözese Freiburg am 27. Mai 2004 anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zur Gebetswoche für die Einheit der Christen in Pforzheim eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, die einen Textentwurf für den Abschluss ökumenischer Partnerschaften zwischen evangelischen Pfarrgemeinden und römisch-katholischen Pfarreien enthält.13# Davon haben im Sinn einer Selbstverpflichtung inzwischen zahlreiche Gemeinden Gebrauch gemacht. Hintergrund dieser Vereinbarung ist u.a. die gemeinsame Erklärung der Erzdiözese Freiburg und der Landeskirche »Gottesdienst und Amtshandlungen als Orte der Begegnung« aus dem Jahre 1999, die eine Reihe praktischer Vorschläge und wichtige Texte zum Thema enthält.14# Mit dem Abschluss ökumenischer Partnerschaftsvereinbarungen soll nicht zuletzt ein Beitrag zur konkreten Umsetzung der »Charta Oekumenica« geleistet werden, die von der Konferenz Europäischer Kirchen und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenz am 22. April 2001 in Straßburg abgeschlossen worden ist.15# Darin heißt es u.a.
»Wir verpflichten uns,
Selbstgenügsamkeit zu überwinden und Vorurteile zu beseitigen, die Begegnung miteinander zu suchen und füreinander da zu sein.16#
auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen.«17#
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II. Ökumenische Gottesdienste

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Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Feier gemeinsamer Gottesdienste mit den römisch-katholischen Gemeinden dar. Der Wunsch, zusammen mit den Gliedern anderer christlicher Gemeinden ökumenische Gottesdienste zu feiern, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Hören auf das Wort Gottes, im Singen und Beten werden die Gemeinsamkeiten der Christen besonders betont und die ökumenischen Beziehungen gefestigt. Auch die römisch-katholische Kirche hält es für wichtig, »dass die Christen die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in ihren Gebeten, Gottesdiensten und Feiern kennen lernen und deren spirituellen und liturgischen Reichtum erfahren. Deshalb begrüßt sie gegenseitige Einladungen von Einzelnen, Gruppen und Gemeinden.«18# Ökumenische Wortgottesdienste sollten daher in der römisch-katholischen Kirche »nach Möglichkeit fester Bestandteil des liturgischen Lebens jeder Gemeinde sein«19#.
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Allerdings: »Da die sonntägliche Eucharistiefeier für das christliche Leben und den Aufbau der christlichen Gemeinde einen unverzichtbaren Wert hat, können ökumenische Gottesdienste sie nicht ersetzen. Diese haben deshalb immer einen Ausnahmecharakter. Ökumenische Gottesdienste dürfen deshalb nicht dazu führen, daß in einer Gemeinde an einem Sonntag keine heilige Messe gefeiert werden kann. Die katholischen Christen dürfen durch die Teilnahme an ökumenischen Gottesdiensten nicht in einen Konflikt mit dem Sonntagsgebot gebracht werden.«20# In dieser Einschränkung wird die Trennung schmerzlich bewusst, die nach wie vor in den unterschiedlichen theologischen Auffassungen zur Frage der Eucharistie bestehen. Umso dringlicher ist die Verwirklichung der Selbstverpflichtung aus der Charta Oekumenica, »dem Ziel der eucharistischen Gemeinschaft entgegenzugehen«21#.
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III. Ökumenische Amtshandlungen

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Die Amtshandlungen der Kirche, die in den Lebensordnungen22# geregelt werden, richten sich zwar grundsätzlich an die Glieder der eigenen Kirche, ökumenische Öffnungen sind aber an verschiedenen Stellen vorhanden. So ist es heute selbstverständlich, dass bei einer evangelischen Taufe auch Mitglieder einer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehörenden Kirche zum Patenamt zugelassen sind.23# Dabei soll daneben eine Patin oder ein Pate evangelisch sein. Die römisch-katholische Kirche lässt Angehörige nichtkatholischer Gemeinschaften allerdings nicht als Paten, sondern nur als Taufzeugen zu.24# Bei einer Trauung ist Voraussetzung, dass entweder die Ehefrau oder der Ehemann Mitglied einer evangelischen Kirche ist. Gehört die Ehefrau oder der Ehemann der römisch-katholischen Kirche an, kann der Traugottesdienst entweder nach dem evangelischen oder nach dem katholischen Trauritus unter Beteiligung der zur Trauung Berechtigten beider Kirchen erfolgen oder in Baden auch als ökumenische Trauung nach dem besonderen Formular C25#. Eine Trauung nach evangelischen Ritus ohne Beteiligung eines katholischen Priesters setzt für den katholischen Teil den Dispens von der Formpflicht voraus. Gehört eine Verstorbene oder ein Verstorbener einer anderen christlichen Kirche an, so ist eine evangelische Bestattung nur im Ausnahmefall möglich26#. In der bis zum 31.12.2001 gültigen Lebensordnung war als Kriterium ausdrücklich genannt, »wenn sonst keine kirchliche Bestattung zustande käme, insbesondere bei Verstorbenen, die in konfessionsverschiedener Ehe gelebt haben.« Zuvor soll versucht werden, mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer der anderen Kirche Kontakt aufzunehmen. Die genannten Bestimmungen haben das Ziel, die ökumenische Zusammenarbeit im Interesse der beteiligten Menschen zu fördern. Vermieden werden müssen aber Übergriffe in den Rechts- und Zuständigkeitsbereich der jeweils anderen Kirche. So wäre z.B. die evangelische Taufe eines Kindes katholischer Eltern nicht möglich, wenn sie nicht dem Erwerb der evangelischen Kirchenmitgliedschaft des Täuflings zustimmen. Auch die Konfirmation eines zu einer anderen christlichen Kirche gehörenden Kindes ist abzulehnen, wenn kein Übertritt zur evangelischen Kirche erfolgt. Ein unfreundlicher ökumenischer Akt wäre es auch, wenn eine evangelische Trauung bei einem römisch-katholischen Ehepaar vorgenommen würde, dass nach den Bestimmungen der eigenen Kirche – z.B. wegen einer vorausgegangen Ehescheidung – nicht getraut werden könnte. Amtshandlungen an Gliedern anderer Kirchen setzen deshalb voraus, dass mindestens einer der Beteiligten der evangelischen Kirche angehört. In jedem Falle ist darauf zu achten, dass Amtshandlungen an Gliedern anderer christlicher Kirchen nicht zu einer Belastung der ökumenischen Beziehungen führen.

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1 ↑ Zur historischen Entwicklung siehe: S. Rosenstock (2000): S. 39 ff.; U. Pohl-Patalong(2006): S. 36 ff.
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2 ↑ Siehe dazu: J. Hermelink, G. Wegner (Hrsg.), Paradoxien kirchlicher Organisation; W. Nethöfel, K-D. Grunwald (2005); Dies. (2007); M. Nüchtern (2008); S. Schramm (2015).
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3 ↑ Hier zu verstehen im Sinne von Parochie, nicht im Sinne der badischen Terminologie der Kirchengemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
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4 ↑ J. Freytag (1959): S. 10 f.
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5 ↑ S. 3.
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6 ↑ J. Freytag, ebd., S. 11
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7 ↑ U. Pohl-Patalong (2006): S. 133.
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8 ↑ Ebd., S. 138.
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9 ↑ Erläuterungen zum Entwurf des 2. Kirchlichen Gesetzes zur Änderung der Grundordnung, Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ordentliche Tagung vom Oktober 1969, Anlage 1, S. 22.
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10 ↑ § 11 Abs.1 hatte folgenden Wortlaut: »Eine Pfarrgemeinde bilden alle Mitglieder der Landeskirche, die durch ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt einem Pfarramt oder einer anderen Predigtstelle zugehörig sind, sowie diejenigen, die sich gemäß § 55 Abs. 2 und 3 im Ganzen anmelden.«; siehe jetzt: Artikel 14.
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11 ↑ Zu den ökumenischen Beziehungen im Ganzen vergl. die Kommentierung bei Art. 4; zur Frage der Begegnung mit den nicht christlichen Religionsgemeinschaften auf örtlicher Ebene siehe die Kommentierung zu Art. 54 Rdnr. 5.
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12 ↑ Bisher gab es nur im § 70 GO die allgemeine Aussage, dass die Landeskirche mit ihren Kirchenbezirken und Gemeinden zur ökumenischen Zusammenarbeit mit allen Kirchen und christlichen Gemeinschaften verpflichtet und bereit ist.
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13 ↑ Abgedruckt bei W. Vögele (2014): S. 179 ff.
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14 ↑ Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung einer Erklärung, die bereits im Jahre 1980 erschienen ist.
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15 ↑ Siehe unter: www.cec-kek.org/Deutsch/ChartafinG.htm (15.06.2021).
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16 ↑ II Nr. 3.
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17 ↑ II Nr. 4.
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18 ↑ Beschluss der Vollversammlung der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland von 1976, abgedruckt in: Erzdiözese Freiburg, Evangelische Landeskirche in Baden (1999): S. 38 ff.
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19 ↑ Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz bezüglich ökumenischer Gottesdienste vom 24. Februar 1994, ebd., S. 44.
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20 ↑ Ebd., S. 45 (Hervorhebung vom Verfasser).
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21 ↑ II Nr. 5.
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22 ↑ Zu den Lebensordnungen vergl. Art. 60 bei Rdnr. 7 ff.
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23 ↑ LO Taufe Art. 5 Abs. 5.
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24 ↑ CIC Can. 874 § 2.
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25 ↑ LO Ehe und kirchliche Trauung Art. 4 Abs. 3. und die Bekanntmachung des Evangelischen Oberkirchenrates Gemeinsame Trauung konfessionsverschiedener Paare – Formular C vom 6. Mai 1974, GVBl. S. 31 (RS Baden Nr. 220.310).
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26 ↑ LO Bestattung, Sterbe- und Trauerbegleitung Art. 4 Abs. 3.